Die Auszeichnung “Rede des Jahres” wird seit 1998 vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen vergeben und ging seitdem unter anderem an Marcel Reich-Ranicki, Joschka Fischer und Papst Benedikt.
Mit diesem Preis würdigt das Seminar für Allgemeine Rhetorik jährlich eine Rede, die die politische, soziale oder kulturelle Diskussion entscheidend beeinflusst hat. Der Kriterienkatalog (ausgezeichnet werden im Normfall Reden, die in Deutschland in deutscher Sprache gehalten wurden) den die Juryanwendet:
- bemerkenswerter Anlass oder besondere situative Herausforderung?
- publizistische Wirkung?
- Elaboriertheit der Rede (mit Blick auf die gewählte Redegattung)?
- inhaltliche Relevanz und thematische Akzentuierung der Rede?
- Vortragsstil (mit Blick auf die jeweilige Persönlichkeit)?
Rede 2013 – Gregor Gysi zur NSA Affäre. Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen hat Gregor Gysis Bundestagsrede zum NSA-Skandal vom 18. November zur Rede des Jahres 2013 gewählt. Das Institut zeichnet damit ein engagiertes Plädoyer für eine konsequente Aufarbeitung des NSA-Skandals aus. Mit anschaulichen Worten und großer argumentativer Kraft durchleuchtet Gysi die Spähaffäre und das Verhalten der Bundesregierung, fordert eine deutsch-amerikanische Freundschaft auf Augenhöhe und: den Friedensnobelpreis für Edward Snowden.
In einer Zeit, in der die Bundesregierung die Dimension der NSA-Affäre klein zu reden versuchte, waren es vor allem Hans-Christian Ströbele und Gregor Gysi, die in der Sondersitzung des Bundestages in engagierten Reden ihre deutlich andere Sicht der Dinge zur Geltung gebracht haben. Sie sind der Politik der Regierung offensiv und mutig entgegengetreten. Gysi zieht dabei alle Register seiner Rhetorik: Gleich zu Beginn fordert er „Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung“, immer wieder stellt er bohrende Fragen an Kanzlerin und Innenminister und sorgt mit seinem Vorschlag, Edward Snowden den Friedensnobelpreis zu verleihen, für einen internationalen Widerhall seiner Worte. Dabei variiert Gysi zwischen scharfen Angriffen, beißender Polemik gegen das bisherige Krisenmanagement, aber auch nachdenklichen Passagen und logisch bestechenden Überlegungen über die Rolle der deutschen Geheimdienste. Wie es Gysis Art ist, die ihn zu einem der großen Redner des Bundestags macht, bricht er komplizierte technische und juristische Sachverhalte auf eine anschauliche Ebene herunter, reduziert Komplexität, um Verständlichkeit zu erreichen.
Gysis Vortrag überzeugt durch den Wechsel von Tonlage und Tempo. Mal unbequem und hartnäckig nachfragend, mal ruhig analytisch, dann polemisch und bestimmt, beherrscht Gregor Gysi die Klaviatur der Ausdrucksmöglichkeiten wie kaum ein anderer politischer Redner unserer Zeit. Auf diese Weise ist er schon vor der neu gebildeten großen Koalition zu der Stimme der Opposition geworden. Seine Reden finden große Aufmerksamkeit in den traditionellen Massenmedien, aber auch auf YouTube, Facebook und bei Twitter, auch weil er das deutliche Wort nicht scheut, mit Blick auf die NSA-Affäre etwa von „Duckmäusertum“ spricht, mehr „Mumm“ auf Seiten der Kanzlerin fordert, dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich vorwirft, er habe sich „einlullen“ lassen.Vor allem aber zeichnet den Redner Gysi Spontaneität aus – auf der Talkshowbühne genauso wie im Bundestag. So können Merkel, Friedrich und andere auch deshalb den Angriffen Gysis kaum entkommen, weil er sie direkt anspricht, spontan auf sie reagiert und Zwischenrufe souverän pariert. Er nimmt das unmittelbar vorhergegangene Wort von der „Wertegemeinschaft“, die uns mit den USA verbinde, in seiner Rede gekonnt auf. Er fragt nach und analysiert, was „Wertegemeinschaft“ und „Freundschaft“ eigentlich bedeuten. Ein guter Redner muss auch ein guter Zuhörer sein, auf den Kontext reagieren, so wie Gysi das nicht nur in seiner Rede zur NSA-Affäre vorführt.
Gysi liefert alles in allem ein vorbildliches Beispiel einer Oppositionsrede, die sich eben nicht zufrieden gibt mit den Aussagen der Regierung, sondern kritisch nachfragt und auf den Punkt kommt. So bleibt Gysi nicht bei der tagespolitisch aktuellen NSA-Affäre stehen, sondern nutzt das Thema, um über die deutsch-amerikanische Freundschaft und die deutsche Souveränität auch grundsätzlich nachzudenken. Dieser Blick über das tagesaktuelle Geschehen hinaus ist selten geworden in unserer Zeit. Es zeichnet Gysis Rede daher in besonderem Maße aus, dass sie ein Ideal von Freundschaft und Souveränität den tagespolitischen Entwicklungen entgegenhält, über die Auseinandersetzung mit der Gegenwart die Zukunft nicht aus den Augen verliert.[text4tube:::>]
- Universität Tübingen - Seminar für Allgemeine Rhetorik - Preisvwerleihung 2013 - Gregor Gysi
- Text der Rede: Edward Snowden Asyl gewähren (Gregor Gysi - 18.11.2013)
- Rede auf YouTube: Gysi: „Ich bin dieses Duckmäusertum sowas von leid"
- [Google Search] Uni Tübingen - Rede des Jahres 2013: Gregor Gysi zur NSA Affäre
- Verfolgen Sie unsere Beiträge auf text4tube, auf Twitter, auf dem YouTube-Kanal oder auf Facebook.
- 23.12.13 [Letzte Aktualisierung 23.12.13]
- Das ⇒ #Vorarlberger Bloghaus verlinkt interessante Weblogs.
- Das #Vorarlberger Bloghaus findet man auch auf Facebook.
2013 – Gregor Gysi zur NSA Affäre
2012 – Marcel Reich-Ranicki: Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
2011 – Jean Ziegler: Der Aufstand des Gewissens
2010 – Margot Käßmann: Predigt im Neujahrsgottesdienst der Dresdner Frauenkirche
2009 – Sigmar Gabriel: Rede auf dem SPD-Parteitag
2008 – Joachim Kaiser: Laudatio auf Anne Sophie Mutter
2007 – Oskar Lafontaine: Rede in der Debatte zum Bundeshaushaltsplan 2008
2006 – Papst Benedikt XVI: Vorlesung an der Universität Regensburg
2005 – Werner Schulz: Mündliche Erklärung nach der Aussprache zur Vertrauensfrage
2004 – Heribert Prantl: Zivilgesellschaft ist vitaler Verfassungsschutz
2003 – Eberhard Jüngel: Predigt über Genesis 16
2002 – Das Kanzlerduell
2001 – Rolf Hochhuth: Jacob Grimm oder Angst um unsere Sprache
2000 – Daniel Cohn-Bendit: Quo vadis Europa
1999 – Joschka Fischer: Parteitagsrede vom 13. Mai 1999
1998 – Martin Walser: Friedenspreisrede
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen