STRABAG. Das Magazin Mitbestimmung (07/2005) berichtete darüber: Der Baukonzern Strabag wollte als die erste europäische Aktiengesellschaft in die Geschichte eingehen. Dabei haben das Unternehmen und ein bereitwilliger Richter die Mitwirkung der Arbeitnehmer 'übersehen'. Die muss vor der Eintragung des Unternehmens geregelt sein.
Betriebsräte braucht das Land. Das brachte für den aktiven österreichischen Betriebsrat Vorteile: Der Verstoß gegen die einschlägigen Gesetze erwies sich als Vorteil für die Belegschaftsvertreter. Sie konnten den Zeitdruck, unter den der Vorstand geraten war, wollte er eine "riesige Blamage" vermeiden, zu ihren Gunsten nutzen. Im Mai 2006 sei eine "sehr gute Vereinbarung" unterschrieben worden.
Streitpunkt war dem Betriebsrat zufolge die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Während das österreichische Recht eine Drittelbeteiligung vorsieht, verlangte die Delegation aus der Bundesrepublik, dem mit mehr als 10.000 Beschäftigten zweitgrößten Standort, eine paritätische Lösung nach deutschem Muster. Heraus kam ein Kompromiss: Bis Ende 2009 gilt die österreichische Regelung, anschließend rückt jeweils ein Vertreter aus Deutschland und aus einem osteuropäischen Land in das Aufsichtsratsgremium.
Mit dem SE-Betriebsrat sei die Kommunikation "gut", zumal er zwei Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden könne, sagt der STRABAG-Betriebsrat. Die Vereinbarung sieht im Jahr zwei Sitzungen des SE-Betriebsrats vor, der Geschäftsführende Ausschuss trifft sich ebenfalls mindestens zweimal. Das Ausmaß an Information und Konsultation sei deutlich größer als zu Zeiten des einstigen Euro-Betriebsrats.Fluchtgefahr. Doch es gibt auch eine andere Richtung: Eine erste empirische Untersuchung dazu hat ein Team um Professor Horst Eidenmüller, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Unternehmensrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, nun vorgelegt. Die Juristen untersuchten die Verbreitung der Rechtsform, die bevorzugte Gründungsprozedur, die Größe der SE-Unternehmen, ihre Branchenzugehörigkeit sowie die Organisationsverfassung und vor allem die Motive, die zur Wahl dieser Rechtsform führen.
"Die Untersuchung gelangt zu einer Reihe teilweise überraschender und rechtspolitisch sehr bedeutsamer Ergebnisse", schreiben die Wissenschaftler. "So gibt es bereits sehr viel mehr SEs als das Amtsblatt der EU ausweist." Aus deutscher Sicht bemerkenswert sind die Gründe der Rechtsformwahl: Ein wesentliches Motiv liege darin, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Gesellschaft modifizieren oder in Einzelfällen sogar ganz ausschließen zu können.
Die SE-Gründungszahlen nehmen jedes Jahr zu. Wurden 2005 europaweit 21 SEs gegründet, so waren es im Jahr 2006 bereits 40 und ein Jahr darauf 85. Für das Jahr 2008 rechnen die LMU-Forscher erstmals mit mehr als 100 Gründungen. Im Juni 2008 war Deutschland Spitzenreiter mit 70 bestehenden SEs. Vor allem in Tschechien werden aber neuerdings außergewöhnlich viele SEs gegründet, so dass die meisten SEs mittlerweile in diesem Land beheimatet sind. Weiter zeigt die Studie, dass jede zwölfte Gesellschaft seit ihrer Gründung von dem Recht Gebrauch machte, ihren Firmensitz in ein anderes Land zu verlegen. Teilweise wurde die SE gezielt als Vehikel genutzt, um eine ohnehin geplante Sitzverlegung zu verwirklichen.
Mehr:
✔ Studie: Incorporating under European Law: The Societas Europaea as a Vehicle for Legal Arbitrage, pdf, 33 S, 600 KB, 15.12.2008
✔ Bundesgesetzblatt 82/2004 (Beschluss des Nationalrates vom 16.6.2004. pdf, 16 S. 265 KB)
✔ Magazin Mitbestimmung 07/2005
✔ Angriff auf die Mitbestimmung
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