Dienstag, 20. Dezember 2016

[ #journalismus ] Recherche reloaded: Was Journalisten von anderen Rechercheberufen lernen können

Erschienen in der Publikationsreihe nr-Werkstatt des Vereines "netzwerk recherche e.V."  ist der 21. Band Recherche Reloaded. Was Journalisten von anderen Rechercheberufen lernen können. 

Er dokumentiert Ergebnisse der gleichnamigen Fachkonferenz, die das netzwerk recherche in Kooperation mit dem Henri Nannen Preis am 28./29. Mai 2011 im Pressehaus von Gruner + Jahr  in Hamburg ausrichtete. Die Werkstatt bietet Einblick in die Recherchemethoden verschiedener Berufszweige – vom Historiker über den Umweltaktivisten bis zum Mediziner.

[citizen|bürgerInnen|citoyen]⇒ 
Zum Inhalt:

In der Eröffnungsrede fragt Hans Leyendecker „Was zur Hölle ist Recherche?“. Für ihn gehört dazu, Neues aufzudecken und aus dem Rahmen zu fallen – und auch die journalistische Verpflichtung zu Wahrheit und Wahrhaftigkeit: ein Appell an den Ethos einer Zunft.

Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf beschreibt in seinem Vortrag Gemeinsamkeiten und Unterschiede von journalistischer und wissenschaftlicher Arbeit: Beide eint die Suche nach der Wahrheit – jedoch hätten die Forscher meistens mehr Zeit für ihre Suche. Er zeigt die Fallen, in die Journalisten allzu oft tappen, wenn sie wissenschaftliche Erkenntnisse bearbeiten: angefangen bei  wissenschaftlicher Unkenntnis, über finanzielle Abhängigkeiten bis zu weltanschaulichen Beweggründen. Und er beschreibt die „Ausgewogenheitsfalle“ – die eigenartige journalistische Maxime, immer die Gegenmeinung präsentieren zu müssen.

Der Tierschützer Stefan Bröckling nimmt den Leser mit zu einer Nacht- und Nebelaktion in den Hühnerstall. Zuerst holt der Rechercheur Informationen übers Internet ein, anschließend wählt er das Equipment aus und schließlich sammelt er vor Ort Beweismittel, um sie dann der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Der Beitrag „Recherche in der Medizin. Wenn Experten ausgedient haben“ gibt ein Einblick in die strukturierte Vorgehensweise medizinischer Recherche, wie sie in der Evidenzbasierten Medizin praktiziert wird. Abschließend zieht Klaus Koch, Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation am Prüfinstitut IQWiG, Bilanz, was sich davon im Journalismus anwenden lässt.

Der frühere Kriminalhauptkommissar Bernd Hoffmann, der heute bei den Wirtschaftsprüfern von RölfsPartner arbeitet, erklärt, was beim Führen von (forensischen) Interviews zu beachten ist: Von Interview- und Kommunikationsstrategien, Fragetechniken, Methoden der Lügenerkennung, der „Inspektor Columbo“-Methode bis hin zu grundsätzlichen Kenntnissen über Tätertypologien und dem juristischen Rahmen.

Über die Quellenarbeit eines Historikers gibt Clemens Tangerding an Hand von drei Praxisbeispielen Auskunft. Er schildert, wie ein (Historiker-)Neuling am besten vorgehen sollte, welche Quellen er nutzen kann und welche Reihenfolge bei der Quellensuche ratsam ist.

Wer, wie, was – Christina Elmer erklärt, was beim „Data driven Journalism“ zu beachten ist. Sie weist auf die Vorzüge und Möglichkeiten des Datenjournalismus hin und gibt Tipps, wie man Daten vergleicht, wo man Daten findet und die entsprechenden Werkzeuge zur Auswertung und Visualisierung nutzt.

All zu oft werden „Äpfel mit Birnen verglichen“, sagt die Statistikerin Katharina Schüller. In ihrem Artikel veranschaulicht sie, wie man Zahlen und Statistiken prüft, Manipulationen erkennt sowie Mittelwerte und Trends fehlerfrei errechnet und journalistisch interpretiert.

Axel Petermann, Dozent für Kriminalistik und Buchautor, erklärt das Prinzip der Operativen Fallanalyse – die Suche nach dem Täterprofil: Er beschreibt, wie die Beamten Tathergang, Motiv und Umstände eines Verbrechens rekonstruieren.

Der Rechercheleiter von Greenpeace Deutschland, Manfred Redelfs, klärt über den weithin unbekannten, aber zentralen Bestandteil seiner Arbeit bei der Umweltorganisation auf: die Suche nach internationalen, stichhaltigen und exklusiven Fakten und Geschichten. Der Artikel gibt ein Überblick: von der Organisation der Recherche über die Mithilfe von Ehrenamtlichen bis hin zur systematischen Nutzung der Auskunftsrechte.

Wie Finanzdienstleister recherchieren, erklärt Dirk Lorber vom db InfoCenter bei Deutschen Bank Research an den zentralen Fragen: Auswahl und Nutzung von Informationsquellen, der Abwägung von Kosten- und Zeitaufwand und der Frage „Was macht man, wenn es keine Daten gibt?“

Einer zeitgeschichtlichen Recherche widmet sich Helmut Müller-Enbergs von der Stasi-Unterlagen-Behörde BStU. Am Beispiel der sogenannten „Rosenholz“-Akte skizziert er eine Suche nach Agenten, Spionen, Inoffiziellen Mitarbeitern und dem Verbleib von Akten und Dokumenten.

Mit einem „Umzugskarton voller Ermittlungsakten“ deckte die Henri Nannen Preisträgerin Christine Kröger vom Weser-Kurier etliche Affären bei der niedersächsischen Justiz und Polizei auf. Das abgedruckte Rechercheprotokoll gibt Einblicke in ihre Ermittlungen im Hannoveraner Rotlichtmilieu, bei Polizisten, V-Männern und uneinsichtigen Staatsanwälten.

„Von Wikileaks zu Openleaks“: In einem Interview erklärt Daniel Domscheit-Berg die technischen Tools und Verfahrensweisen der Enthüllungsplattformen, um z.B. 14.000 geheime Afghanistan-Dokumenten aufzuarbeiten, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – und trotz allem die Informantenquelle zu schützen. (Zumindest in der Theorie, wie wir heute wissen.).

Keine Kommentare: